In Körpertherapien und vor allem in der Biodynamische Psychologie ist Wahrnehmung der L e b e n s energie zentral. Der energetische Zustand eines Menschen beziehungsweise die Art der energetischen Dynamik im Kontakt ist der rote Faden des Geschehens als dynamischer Prozess, subtil oder ausdrücklich. Natürlich sind mit der körperlichen Befindlichkeit und anstehenden Themen jede Art körperliche Erscheinungen und Rhythmen von Bedeutung, vor allem spontane Impulse, Gefühle und Eindrücke, passend gewichtet.
Das ähnelt der traditionellen chinesischen Medizin, insofern sich vor allem spontane Selbstregulierung stärkt, bestmöglicher energetischer Flow und energetische Balance, das heißt zunächst i n n e r e Lebensqualität, auch im Austausch mit anderen und der Welt.
Die Qualität und Menge eigener Lebensenergie ist unmittelbar erfahrbar als Wirkung des dynamischen Ineinanderspielen körperlicher, seelischer und geistiger Vorgänge. Ihre fortgesetzte Hemmung kann zu Krankheiten und Beeinträchtigungen unterschiedlichster Art führen. Das ist unmittelbar abhängig von der Art zu atmen und sich zu nähren – von jeglichem Austausch mit der Welt und anderen Wesen, von der Art des Kontakts zu sich selbst und anderen.
Übrigens d a s s diese Dimensionen unmittelbar abhängig ineinander wirken, ist seit einigen Jahrzehnten neurowissenschaftlich nachgewiesen.
Der italienische Philosoph Giorgio Agamben hat daruf hingewiesen, dass in der Antike „energeia“ „lebendige Wirksamkeit und Wirklichkeit“ (1) bedeutete. Insofern galt Energie zugleich als Verursacher und Verursachtes.
Energie ist ein wahrlich schillernder Begriff in allen Lebensbereichen: in Erfahrungswissen, in der sogenannten Komplementärmedizin, in der Geschichte der Psychoanalyse und Körperpsychotherapie, in vielen Naturwissenschaften und uralten spirituellen Traditionen. Aus meiner Perspektive ist der Begriff für Theologen ein Tabu und für die meisten Mediziner nur höchst bedingt brauchbar.
Energie als Lebensenergie ließ nicht erst Wilhelm Reich vergegenwärtigen – als Vorreiter vieler Körpertherapeuten vor annähernd 100 Jahren – als Dynamik mit unterschiedlichen Dimensionen wie Ladung/Entladung, Hemmung/ Zirkulation, Angst/ Lust. Jahrtausende alte Yogatraditionen, Tao, Zen u.a. buddhistische Traditionen, Akupunktur, gaben auf jeweils eigene Weise Energie als komplementär bewegte Dynamik unmittelbar zu vergegenwärtigen und bewusst ausgleichend zu verfeinern, ästhetisch, kontemplativ, poetisch, philosophisch, kämpferisch, nährend und heilend. Allerdings wird „Energie“ in diesen Traditionen und Sprachen differenzierter aufgefasst und benannt als in europäischen Sprachen. „Chi“ aus der chinesischen Tradition scheint zunächst am ähnlichsten.
Im Bericht des Club of Rome von 2018 über die Grenzen des Wachstums las ich einen sehr kleinen Beitrag, der behutsam hypothetisch einlädt, sich eingehender mit dem traditionellen Verständnis von Yin und Yang als komplementär abhängige Kräfte zu befassen, da es wahrscheinlich für ganzheitliche ökologische Fragestellungen lohnenswert sei. Weit eingehender hatte schon 1929 C.G. Jung und Richard Wilhelm darauf aufmerksam gemacht, allerdings im Zusammenhang mit leibseelisch-geistigen Vorgängen.
Hochaktuell für jeden sind allerdings rasant gestiegene Preise für Energie im Zuge der neuen „Energiekrise“. Ebenfalls rasant stiegen die Gewinne der Energieanbieter. Plötzlich gab es eine rasante Inflation wie sehr lange nicht und sie hält an.
Schon seit Jahrzehnten ist die Erforschung und Produktion alternativer Technologien zur Energiegewinnung im Gespräch und kam nicht gerade allerseits priorisiert auf Hochtouren, wobei vieles angeblich „verschlafen“wurde und höchst fragwürdig scheint. Jeher ist Atomenergie so umstritten wie einstmals Atomwaffen, die immer effizienter konstruiert werden und jederzeit optimal bereit gestellt sind zur zügigen Vernichtung. Sie sollen angeblich nur abschrecken und nur daher als unverzichtbar gelten für jede sogenannte Atommacht.
Seit den verheerenden Weltkriegen gibt es sagenhaft kostspielige „kleinere“ verheerende Kriege um „geopolitische“ Einflusszonen bzw. um Zugang zu Energieressourcen und am besten auch zwecks militärischer Stützpunkte und hegemonialer Präsenz, was allerdings meistens ein bisschen anders genannt wird. Derzeit stehen wir einer „atomaren Bedrohung“ angeblich so nah wie noch nie. Für Aufrüstung wird weit mehr ausgeben als für ökologische Energiewende.
Währenddessen ereignen sich in der Folge fortgesetzter Nutzung fossiler Energien zunehmend ökologische Katastrophen und irreversible zerstörerische Kettenreaktionen an unzähligen Orten. Trotz eines halben Jahrhunderts dringlicher Warnungen von Wissenschaftlern vor absehbaren Kollaps-Erscheinungen und unvorstellbaren Schäden – sowie vor massenhaften Flüchtlingswellen ob verheerter Unbewohnbarkeit zunehmend vieler Gegenden – zerstören globalisiert ausbeuterisches Wirtschaften und entsprechend übliches Konsumverhalten fortgesetzt unser aller Lebensbedingungen.
Diese offenbar zunehmend zerstörerische Dynamik scheint geradezu „systembedingt“ nicht abwendbar durch gesetzliche Regulierung und politisches Verhandlungsgeschick (im politischen Willen „Schaden vom Volk abzuwenden“), obwohl genau sie im Bezirk menschlicher Zivilisation dafür zuständig wären seit ihrer einstmals geistreichen Erfindung.
Meine Erfahrung ist, dass unsere Gestimmtheit und Lebensenergie zunächst davon abhängt, was wir mitbekommen haben und was wir damit anstellen. Das kann sich durch unterschiedlichste Gründe beeinträchtigt und unzureichend anfühlen, vielleicht auch deprimiert durch den Blick auf gesellschaftliche, ökologische und weltpolitische Schieflagen, die längst unverkennbar sind. Allerdings macht es einen spürbaren Unterschied , wie wir zunächst unseren inneren Umgang damit nachbessern. Das gilt selbst bei einer unabwendbaren Erkrankung und bei kleinem Budget.
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(1) Giorgio Agamben, Homo Hacer, Suhrkamp, 2002
(2) Richard Wilhelm und Carl Gustav Jung, Geheimnis der goldenen Blüte, Diederichs 2005